Die Sache mit der gendergerechten Sprache

«Denn nicht jeder ist eine Frau»

DARUM
GEHT’S

Kategorie: Know-how Story
Datum: Mai 2021

Sprache wirkt stark. Sprache schafft Realität und prägt unsere Wahrnehmung. Auf dem Weg zur tatsächlichen Gleichstellung aller Geschlechter ist eine gendergerechte Sprache unerlässlich.

Gastbeitrag von Rahel Fenini: Co-Gründerin des pop-feministischen Onlinemagazins „fempop“ und Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St.Gallen

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INHALT

Kurz erklärt

Gendergerechte Sprache bewegt. Obwohl nicht von allen verwendet, ist sie in aller Munde und auf allen Kanälen. Die Abschaffung des generischen Maskulinums im Duden, die explizite Erwähnung von Frauen, die Einführung des Gendersterns oder einer anderen inklusiven, nicht binären Variante: Während die einen von «Gendergaga» sprechen, applaudieren die anderen den Wandel der Sprache. Als Co-Gründerin des pop-feministischen Onlinemagazins „fempop“ und als Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St.Gallen schliesse ich mich dem Beifall an. Denn ja, für eine Welt, in der alle Geschlechter gleichgestellt sind und damit auch gleichermassen sichtbar und angemessen repräsentiert werden, ist eine gendergerechte Sprache ein Must. Dieser Meinung ist auch der Bund und so hält er in seinem Leitfaden zum Sprachgebrauch fest: «Mit geschlechtergerechten Formulierungen werden Frauen […] sprachlich sichtbar, sie treten in Erscheinung und rücken ins Bewusstsein. […] Denn Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit sind nicht voneinander zu trennen». Sagen oder schreiben wir etwa «Die St.Galler …», geht dabei vergessen, dass die Hälfte der Bevölkerung von St.Gallen aus Frauen besteht. Umgekehrt blenden wir mit dem Wort «Journalisten» die Vielzahl an bedeutenden, meinungsprägenden Journalistinnen aus. Wo frau «mitgemeint» wird, geht frau oftmals vergessen.

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«Denn nicht jeder ist eine Frau»

Doch wie gelingt es, Frauen und Männer gleichermassen anzusprechen? Gendergerechte Formulierungen gibt’s en masse – und in einfacher Umsetzung. Doppelformen wie «Liebe Leserinnen und Leser», Formulierungen wie «Alle sind eingeladen» anstelle von «Jeder ist eingeladen» oder inklusive Wortkreationen wie «Mitarbeitende» und «Teilnehmende» sind einfache Möglichkeiten, gendergerecht zu sprechen und zu schreiben. Weitere praktische Tipps und Tricks zur sprachlichen Gleichbehandlung finden sich in unterschiedlichen Leitfäden, so zum Beispiel in den Empfehlungen der Universität Bern vom März 2017.

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Den Regenbogen abbilden

Gendergerecht zu formulieren heisst jedoch nicht, nur Frauen und Männer sichtbar zu machen – sondern allen Geschlechtern gerecht zu werden. Das bedeutet, auch Menschen, die sich nicht als Frau oder Mann identifizieren (inter oder trans Menschen oder Personen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentität), in der Sprache zu repräsentieren – und somit gesellschaftlichem und sozialem Wandel mit sprachlichem Wandel zu folgen. Der deutsche Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch bringt dieses Argument in seinem Artikel «Warum Sprachwandel notwendig ist» auf den Punkt: «Schon Frauen, deren Existenz ja offensichtlich und unstrittig ist, werden in geschlechtsneutralen Formen wie „Studierende“ oder „Vorstandsvorsitzende“ häufig nicht ohne Weiteres mitgedacht (…). Das gilt erst recht für nicht-binäre Menschen, die wir oft vergessen und an deren Existenz viele Menschen zweifeln, wenn sie überhaupt schon einmal über die Frage nachgedacht haben. Für diese Gruppe ist Sichtbarkeit die Voraussetzung, um überhaupt am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Dass sie dabei ihre geschlechtliche Identität auch dort zum Thema machen, wo sie keine Rolle spielen sollte, ist für die*den Einzelne*n sicher oft unangenehm, es ist aber Teil genau der gesellschaftlichen Wahrnehmung, die erreicht werden soll.» Der Genderstern, der Unterstrich und der Doppelpunkt (Leser*innen, Leser_innen, Leser:innen) sind gegenwärtig die häufigsten auf Vielfalt bezogenen Möglichkeiten, alle Geschlechter gleichermassen sichtbar zu machen und den expliziten Bezug auf Menschen mit einer Geschlechtsidentität jenseits der Kategorien «Frau» und «Mann» herzustellen.

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Der Wille zählt

Für welche Variante sich die Verfasser*innen eines Textes schlussendlich entscheiden, steht nicht so sehr im Fokus wie das Bemühen, sich mit Sprache und gesellschaftlicher Vielfalt auseinanderzusetzen. Beim gendergerechten Formulieren geht es nicht um richtig oder falsch, sondern darum, kreativ zu sein, Möglichkeiten auszuschöpfen und um den Willen, auch sprachlich gerecht zu sein.

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Zusammengefasst

Die Sache mit der gendergerechten Sprache: Was die einen als unnötig und spitzfindig empfinden, wird von den anderen als wichtiges Instrument zur Erreichung der tatsächlichen Gleichstellung (und Sichtbarkeit) aller Geschlechter gesehen. Unterschiedliche Studien belegen, dass Sprache und gesellschaftliche Wirklichkeit eng miteinander verknüpft sind. Wie wir die Welt wahrnehmen, unsere Gesellschaft, Geschlechtsidentitäten, aber auch Geschlechterhierarchien und -stereotypen, ist stark von unserer Sprache abhängig. Sprache kann Dinge und Personen sichtbar machen, sie in den Fokus rücken und so Realität schaffen. Eine gendergerechte Sprache – in all ihren Facetten und Nuancen – setzt hier an, benennt ausdrücklich alle und meint niemanden einfach nur mit. Damit wird ein essenzieller Beitrag zu mehr Inklusion und Diversität geleistet – von uns allen.

Portrait Rahel Fenini

Autorin

Rahel Fenini ist Co-Gründerin von “fempop”, dem Schweizer Onlinemagazin für Popkultur und Feminismus. Seit 2017 ist die Zürcherin Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St.Gallen. Rahel Fenini hat Englische Literatur, Publizistik und Gender Studies studiert. In ihrer Freizeit entdeckt sie gerne Neues: Musik, Restaurants oder Mode. Ihr Sehnsuchtsland ist Italien und sie freut sich schon auf die nächste Reise in den Süden.

Portrait Rahel Fenini

Autorin

Rahel Fenini ist Co-Gründerin von “fempop”, dem Schweizer Onlinemagazin für Popkultur und Feminismus. Seit 2017 ist die Zürcherin Gleichstellungsbeauftragte des Kantons St.Gallen. Rahel Fenini hat Englische Literatur, Publizistik und Gender Studies studiert. In ihrer Freizeit entdeckt sie gerne Neues: Musik, Restaurants oder Mode. Ihr Sehnsuchtsland ist Italien und sie freut sich schon auf die nächste Reise in den Süden.

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